Super(oberammer)gau
Der Sommer steht vor der Tür, und wir halten Ausschau nach Möglichkeiten zu kleinen Reisen, die nicht viel kosten, uns aber so effektiv wie möglich aus dem Alltag hinausführen. Ganz gut geht das per Bahn und Bus mit dem Bayernticket. An unserem Hochzeitstag in der vergangenen Woche haben wir einen Trip in die nahen Berge gemacht. Konkrete Pläne darf man aber mit dem Regionalverkehr in Bayern nicht haben. Es ging los damit, dass der Bus, mit dem wir aufbrechen wollten (Stadtwerke Augsburg) drei Minuten früher kam und nicht einmal anhielt, sondern an der Haltestelle vorbeibrauste. Dadurch verpassten wir unseren Zug nach München und hatten keine Aussicht mehr, in Pasing den Anschluss in Richtung Garmisch zu kriegen. Gut, dass es noch Privatbahnen gibt. Wir nahmen also den nächsten Ammersee-Zug, der zufällig gerade nicht bestreikt wurde und völlig leer war. Wegen der Video-Überwachung mussten wir auf Sex im Zug verzichten, obwohl das für unseren zweiten Hochzeitstag ja das ideale Highlight gewesen wäre, erwischten in Weilheim dann den deutlich verspäteten Pasing-Garmisch-Zug, den wir verpasst hatten, und wechselten in Murnau auf die wartende Bahn nach Oberammergau (randvoll mit Rucksäcken und dranhängenden Wanderern – überwiegend Ärzte, die ökosemmelkauend ihren mitgebrachten Sprechstundenhilfen von ihren früheren sportlichen Leistungen auf Alpenhochwanderwegen berichteten). Eigentlich wollten wir auf den Laberberg mit Deutschlands steilster Bergbahn fahren, aber es kam gerade ein Bus, der über Kloster Ettal nach Schloss Linderhof fuhr, den nahmen wir spontan, einfach wegen der schönen Landschaft, und wollten dann mittags erst auf den Berg (wenn die Laberärzte hoffentlich nicht mehr da waren). Pustekuchen – in Linderhof saßen wir erst einmal drei Stunden fest.
Den Eintritt zum Schloss und die vier getrenntsprachigen Warteschlangen (Deutsch, Englisch, Französisch, Japanisch) kann man sich sparen – durch die bayrischen Schlösser wird man ja eh nur gehetzt geführt, so dass man das Gesehene am Ansichtskartenstand später gerade noch aus der Erinnerung identifizieren kann.
Wir besichtigten kostenlos den Park mit Skulpturen und einer stündlich für mehrere Sekunden funktionierenden Wasserfontäne und viel Landschaft drumherum, verzehrten unser mitgebrachtes Picknick (Kartoffelsalat, Würstchen, Knoblauchfrikadellen, hartgekochte Eier, frische Semmeln) auf einer Parkbank, begleitet von unverständlichen Kommentaren amerikanischer Touristen, denen ich dann erklärte, dass Hugo Boss, dessen Namen sie meist auf ihrem Hemd trugen, der Uniformschneider für Hitlers SS gewesen sei (nachprüfbar in der Wikipedia), und dann machten wir Fotos, Fotos, Fotos: Berge, Skulpturen, Leute und uns selbst), bis der Bus wieder nach Oberammergau zurückfuhr (der Fahrer war so nett und ließ alle anderen Fahrgäste warten, bis wir vor dem Einstieg unser Eis aufgegessen hatten). Tja, und hier setzte der Regen ein. So ein Gewitter in den Bergen ist was Tolles, aber es war nur kurz. Wir verzichteten dann auf die Fahrt auf den Laberberg, spazierten an bemalten Häusern entlang und besichtigten Holzschnitzarbeiten, die wie Gipsabdrücke von Heiligenfiguren aussahen, aber teurer waren als unsere gesamten Fahrt- und Verpflegungskosten für den Tag.
Wir erstanden dann in einem Ein-Euro-Shop eine Grillzange, die beim ersten Nutzungsversuch am folgenden Tag in ihre Einzelteile zerfiel, aber das ahnten wir natürlich nicht, sondern genossen das bunte Bergdorftouristenidyll mit den (nach dem Regen) leeren Straßencafés, und ließen uns von einem freundlichen Pfandflaschensammler den Weg zum Bahnhof zeigen. Dieser hat nicht mehr das schöne alte Empfangsgebäude, sondern wurde von bayrischen S-Bahn-Designern zu einem schlichten Bahnsteig mit Gleis (das sich, weil es als einziges Gleis auf dem Siegertreppchen übrig geblieben, stolz "Gleis 1" nennen darf) umgestaltet.
Zurück im Zug, erschöpfte Ärzte neben uns, Blicke aus dem Fenster, die Berge, das Hörnle, das Murnauer Moos. Weiter über Weilheim, Tutzing, am Starnberger See entlang (schön, schön, müssen wir mal hin), zur Großbaustelle Pasinger Bahnhof, Augsburg und dann heim. Oder nein, erst mal zu Kaufland und das Fleisch für unsere neue Grillzange kaufen, dazu den passenden Grill (im Angebot für 5,99, weil nur aus Blech), und die Zange ging, wie gesagt, am nächsten Tag auf dem Balkon kaputt.
Aber schön war's.
buecherdidi - 4. Mai, 07:17